Leipziger Volkszeitung online - 02. August 2017
Lückenbebauung mit Scheinfassaden in Delitzsch
Ausführung der Mauer, Putz und Holzarbeiten durch die Firma Pfennig Bau.Zur Münze 6 in der Delitzscher Altstadt gehört auch ein Grundstück, das nur dem äußeren Schein nach eine bewohntes ist. Die neuen Eigentümer haben die vor Jahren errichtete Scheinfassade verputzen und bemalen lassen. Die Blicke in die Fenster sind täuschend echt, doch dahinter verbirgt sich nur ein großer Hinterhof, der bis zum Jahr 2021 auch nicht wieder bebaut werden darf.
Delitzsch. Von Weitem betrachtet, könnte der Hund im Fenster in der Münze 6, inmitten der Delitzscher Altstadt, fast lebensecht sein. Erst beim Näherkommen fällt der Blick auf Details, die den Beagle als Malerei entlarven. „Ich wollte schon immer einen Hund. Und wenn ich ihn nicht wirklich haben kann, weil ich keine Zeit habe, sollte er wenigstens hier aus dem Fenster schauen“, verriet Beatrix Giesel-Hammer.
Fassade war Eigentümeridee
Sie und ihre Familie wohnt noch nicht lange hier. Die Fassadengestaltung war jedoch ihre Idee. Umgesetzt wurde sie im April dieses Jahres mit Hilfe der Rödgener Malerin Ines Hoffmann. Die hatte der Familie Entwürfe vorgestellt und in Abstimmung mit ihr entstand letztlich die jetzige Variante. „Wir haben uns bewusst auch für diese Fensterlaibung entschieden“, erklärt die Hausbesitzerin. Zum einen passe sie zu den bereits eingebauten Fenstern im Wohnhaus, zum anderen käme der räumlich, plastische Charakter besser zum Tragen. Insgesamt sind so fünf Fenster auf der Wandfläche entstanden, die irgendwie einen bewohnten Eindruck macht. Doch hinter der Mauer ist nichts als ein sechs mal elf Meter großer Innenhof mit einem Zugang zur Straße.
Platz für Feiern
Die Funktionstaufe hat er bereits bestanden, wie die Hausherrin verriet: „Wir haben hier im vergangenen Jahr mit gut 70 Gästen unsere Hochzeit gefeiert. Der Platz hat gereicht.“ Ohnehin habe man sich bewusst für den Standort entschieden. Er sei sehr ruhig. „Und einen solchen Hinterhof gibt es in der Delitzscher Altstadt ganz sicher nicht noch einmal. Es ist also ein ganz besonderer Platz, den wir uns ausgewählt haben.“ Dass sie bis zum Jahr 2021 aus dem halben Haus kein ganzes Machen dürfen, ist den neuen Eigentümern bewusst. Und nach jetzigen Stand haben sie das auch nicht vor. Im Wohnhaus gibt es noch jede Menge Arbeit.
Forderung der Stadt
Die sogenannte Schein- oder Blendfassade war im Frühjahr 2013 vom damaligen Eigentümer errichtet worden, weil er damit einer Forderungen nachkam, die mit dem Abriss des einst dort ruinösen Hauses zu tun hat. Der Eigentümer hatte Fördermittel erhalten, musste jedoch auf der dann freiwerdenden Fläche ein angedeutetes Eckhaus errichten. Im konkreten Fall entstanden zwei Mauern in Fachwerkkonstruktion, eine Dachfläche zur Straße schloss sich an. Lange Zeit tat sich dann nicht viel an der Fassade. Sie blieb unverputzt. Erst mit dem Besitzerwechsel kam wieder Bewegung in die Sache.
Lückenbildung drohte
Der städtische Bauamtsleiter Karl-Heinz Koch hatte einst die bemalten Kulissen verteidigt. Seit Anfang der 1990er-Jahre wird in der Delitzscher Altstadt saniert. „Wir wollten die kompakte und geschlossene Bauweise erhalten.“ Durch den Abriss von maroder Bausubstanz habe Lückenbildung gedroht. Es verschwanden zwar marode Gebäude, doch nicht jeder Eigentümer wollte in die Lücke auch etwas Neues bauen. Die Gründe waren vielschichtig. Der Stadtrat als auch der Fördermittelgeber hätten sich deshalb entschieden, Zuschüsse für den Abriss von Gebäuden in der Altstadt an den Bau von Scheinfassaden zu binden. Scheinfassaden werden aus ästhetischen Gründen errichtet, haben fast den Charme von Filmkulissen. In Einzelfällen sei das passiert. Die Regel sei dies aber nicht gewesen, war zu erfahren.
So sei unter anderem in der Mühlstraße 25 bereits im Jahr 2005 eine Scheinfassade errichtet worden. Hinter dem zur Straße hin sichtbaren Garagentor verberge sich heute eine Terrasse. Ähnliches entstand 2008 auch in der Leipziger Straße 6 und 2009 in der Kohlstraße 8.
Von Ditmar Wohlgemuth
Bildunterschriften:
Erik-Johannes (5), Michael Hammer, Oma Doris Funke und Mama Beatrix Giesel-Hammer freuen sich über die Malerei an ihrem Bildfenstern. Weil ein echter Hund noch nicht in Sicht ist haben sie sich schon einmal eine Beagle malen lassen.Die Scheinfassade in der Mühlstraße 25 (rechts) ist als solche kaum zu erkennen.
Quelle: Wolfgang Sens